Das Grimme-Institut

 

Eröffnung: 8. Januar 1955

Architekt: Dr. Günther Marschall

Nutzung: ursprünglich Volkshochschule und Bibliothek, heute Grimme-Institut

 

Fotos außen 2023, innen 2017  © Irene Rasch-Erb, weitere Fotos am Ende dieses Beitrags

Geschichte

1. Volkshochschule und Bibliothek

Mit dem heute unter Denkmalschutz stehenden Gebäude am Eduard-Weitsch-Weg zog Marl damals die Aufmerksamkeit der ganzen Bundesrepublik und darüber hinaus auf sich: Es war der erste Neubau einer Volkshochschule in kommunaler Trägerschaft. Die Marler erkoren dafür den Namen „insel“. Hier sollten nicht nur Wissen und künstlerische Fähigkeiten vermittelt werden, sondern besonders auch politische Bildung im Sinne von Re-Education, einer demokratischen Umerziehung. Bereits am 29. September 1946 war auf Drängen der britischen Militärregierung die Marler Volkshochschule ins Leben gerufen worden, geleitet durch Prof. Dr. Bert Donnepp. 1947 kam ein Lesesaal (1800 Bände) hinzu. 1949 wurde die Stadtbücherei begründet, die 1955 zusammen mit der Volkshochschule ein neues Gebäude erhielt.

 

Damit nahm die noch kaum bebaute Mitte Marls langsam Gestalt an: In unmittelbarer Nähe entstanden das Arbeitsamt, das Amtsgericht, das Hallenbad, die Schule an der Kampstraße („Marschall 66“), die Gymnasium und das Rathaus.

 

Doch die räumlichen Ansprüche stiegen über die Jahre, so dass in den 1970er Jahren die Jugendbibliothek umzog ins Türmchen (den Test-Turm des Rathauses). Die VHS und die Bibliothek bezogen Räume im Einkaufsparadies, dem Marler Stern. Bildung erhielt man nun in unmittelbarer Nähe zum Konsum.

 

2. Das Grimme-Institut

1977 bezog das 1973 gegründete Adolf-Grimme-Institut das leerstehende Gebäude; es begann eine Zeit des Improvisierens und flickenhaften Umbaus der vorhandenen Räumlichkeiten.

 

Ziel des Grimme-Instituts ist die Entwicklung von Modellen zur Zusammenarbeit von Volkshochschulen und Fernsehen und der Organisation von Veranstaltungen zur Qualifizierung der Erwachsenenbildung im Umgang mit Medien. Der Deutsche Volkshochschulverband stiftete den renommierten Fernsehpreis, der 1964 zum ersten Mal in Marl verliehen wurde: den Adolf-Grimme-Preis, seit 2010 Grimme-Preis. Der Namensgeber (1889-1963) war Kulturpolitiker schon zur Zeit der Weimarer Republik und Generaldirektor des Nordwestdeutschen Rundfunks. Am 10. September 2023, Tag des offenen Denkmals , beging das Institut in Marl sein 50. Jubiläum. Mit einem Tag der offenen Tür und abwechslungsreichem Programm wurde das Grimme-Fest gefeiert

 

2004-2005 erfolgte eine umfassende Sanierung des Gebäudes unter Berücksichtigung der ursprünglichen Pläne (Büro Spital-Frenking + Schwarz). Das Haus wurde als Geschichtsdokument begriffen, Potenziale und Qualitäten wieder herausgearbeitet, inzwischen erfolgte Änderungen zurückgebaut. So wurden nun Blickbeziehungen zwischen dem benachbarten Park und dem Foyer wiederhergestellt, energetische Probleme mit der Stahl-Glas-Fassade beseitigt und der Lesesaal wieder von außen einsehbar.

2004: Umbenennung des Gebäudes in "Bert-Donnepp-Haus" (was in Marl wenig bekannt ist)

2006: BDA-Preis Vest-Recklinghausen als Anerkennung

2010: Westfälischer Denkmalpreis für vorbildliche Restaurierung

 

An der Fassade prangt weiterhin der Schriftzug „Grimme-Institut“. Der alte Name „insel“ ist oben am Gebäude angebracht. Dass das Gebäude Bert-Donnepp-Haus heißt, ist von außen noch nicht erkennbar.

 

der architekt

Günther Marschall (geboren 1913 in Dreisen/Polen) studierte Architektur an der TH Stuttgart, dann in Berlin. Als Bauassessor sammelte er bereits vor dem Krieg als leitender Architekt der Reichswerke Hermann Göring erste Erfahrungen, promovierte 1947 zum Wiederaufbau deutscher Städte und habilitierte über Fußgängerwege in der Innenstadt.

 

Wissenschaftlich qualifiziert wurde er am 15. Oktober 1953 von Bürgermeister Rudolph Heiland als stadtplanerischer Berater nach Marl geholt, wo er neben seiner Beratertätigkeit ein eigenes Architekturbüro gründete. Schwerpunkt seiner Arbeit war die Bestandsaufnahme und Aufstellung einer Rahmenplanung für Marl mit dem Ziel, der jungen Stadt ein modernes und besonders einzigartiges Gesicht zu verleihen und ihr eine neue Mitte zu geben, da ein historisch gewachsener Ortskern fehlte.

 

1957 fasste Marschall seine Zwischenergebnisse in dem Buch „Marl-Geburt einer Großstadt“ zusammen. Zahlreiche Gebäude und ganze Siedlungen (wie die am Nonnenbusch) zeugen von seinen Ideen. Nach dem Tod Heilands 1965 verließ Marschall Marl in Richtung Norddeutschland. Im Alter von 84 Jahren starb er 1997 in Hamburg.

 

die architektur

In der erst spärlich bebauten Mitte der Stadt – das Rathaus existierte noch gar nicht – errichtete Günther Marschall ein in verschiedene Baukörper gegliedertes Ensemble, angeordnet um einen Innenhof herum, versetzt, in der Höhe gestaffelt, durch große Fensterfronten transparent nach innen und außen. Hier sollte, genau wie kurz darauf beim neuen Rathaus, ein demokratischer Neubeginn ausgedrückt werden.

 

Das Gebäude beinhaltete zum ersten Mal ein Raumprogramm, das mit dem Lehrprogramm eins war: Neben dem Lesesaal und der Bibliothek gab es zahlreiche Seminarräume, einen kombinierten Gymnastik- und Musikraum, Werkräume, einen multifunktionalen Tagungsraum, ein Tonstudio sowie ein Fotolabor.

 

Bestimmend ist die Verknüpfung von Innen- und Außenraum durch membranhafte, von schlanken Stahlprofilen getragene Glaswände und durchgängige, innen und außen gleiche Bodenbeläge. Der Innenhof sollte Ruhe und Konzentration vermitteln, die großen Glasflächen Offenheit und Transparenz.

 

Zeittypisch ist der Materialmix: Holz-Akustikdecken, Mauerziegel, Travertin, (Naturstein)-Fliesen. Glas, Stahl, Terrazzoböden, farbige Wandfassungen in Rot, Blau-Grün, gelb, Glasbausteine.

 

 

bedeutung

Zur Eröffnung des Hauses schrieb 1955 Dr. Erich Mende Ins Gästebuch: „Der aufstrebenden Stadt einen Glückwunsch zu Geist und Architektur dieses Hauses der praktischen Demokratie“.

Das Gebäude erhielt als historisches Zeitdokument seine komplexe überregionale Bedeutung vor allem im Zusammenspiel mit seiner architektonischen Qualität. Es war das erste Gebäude in der jungen Bundesrepublik, das ausschließlich einer Volkshochschule zur Verfügung gestellt und exakt dafür konzipiert wurde. Es war eine Befreiung, bedeutsam für die kulturelle Entwicklung des Ruhrgebiets, für die Entwicklungsgeschichte der Stadt von Bedeutung, ist ein historisches Zeitdokument und heute Sitz eines der wichtigsten Medieninstitute des Landes.

 

Helmuth de Haas, Feuilleton-Redakteur Die Welt sprach damals von einem Modellfall, einem Glücksfall für die Stadt, einem „Schaufenster einer Stadt, die sich mit dem Haus fürstlich beschenkt hat (…) Wer die insel durchwandert, kann die Moderne einatmen, nicht nur inhaltlich durch Bilder und Bücher, sondern auch durch die Architektur“.

 


Die meisten der obigen Informationen sind dem Vortrag von Dr. Alexandra Apfelbaum entnommen, den sie am 5.9.2023 in Marl im Rahmen der Reihe „Baukultur“ hielt. Freundlicherweise stellte sie uns ihr Script zur Verfügung.